6. März 2023 / #SDNue / Stefan Wacker

Zeitenwende durch Kooperation und Partizipation … und Design?

Verkehrsschild "Turning Point just ahead", im Hintergrund Steppe, Berge und blauer Himmel, Schriftzug "Zeitenwende durch Design?"

Bildquelle: Foto von Tang Yan Song auf Shutterstock

Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat ihr aktuelles Jahresgutachten am 15. Februar an Bundeskanzler Olaf Scholz übergeben und die Worte sind deutlich: „Auch in der Innovationspolitik ist eine Zeitenwende notwendig! Nur auf diese Weise wird sich in Wirtschaft und Gesellschaft eine Aufbruchsstimmung erzeugen lassen, die für die Umsetzung der Transformationen enorm wichtig ist. Ein Weiter-wie-bisher bei der Politikkoordination kann sich Deutschland weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht leisten.“

Um hier endlich Fortschritte zu erzielen, bedürfe es dringend eines neuen, agilen Politikstils und einer dazu passenden Governance-Struktur, heißt es weiter. Die Konsequenz ist allerdings ernüchternd: die Gründung eines Zukunftsausschusses wird empfohlen, um Silo- und Ressortdenken und mangelnde Kooperation zu überwinden.

Erschreckend auch die Feststellung zur fehlenden Digitalkompetenz alter Menschen in Deutschland. Hier sind uns andere Länder Jahrzehnte voraus. Die demografische Entwicklung wird also nicht nur ein Problem für die Sozialsysteme. Sondern sie bremst uns auch in der Innovationsfähigkeit – was auf lange Sicht die viel gravierenderen Auswirkungen sein werden, denn Innovationen finden andernorts schon längst für und mit alten Menschen statt.

In unserem #SDNue Social Design Forum #0 „Digital Wisdom und die Frage, wie wir digitale Teilhabe befähigen“ haben wir genau diese Fragen gestellt und diskutiert, die nun die Expertenkommission so drastisch beschreibt. Die grundlegenden digitalen Kompetenzen bei 65- bis 74-jährigen sind nur bei 28 Prozent vorhanden, während andere Länder wie Niederlande, Schweiz oder Norwegen schon bei 55 bis 61 Prozent liegen. Das Hoffen darauf, dass sich das Problem mit den „Digital Natives“ auswächst, ist trügerisch – so auch die einhellige Meinung im September beim #SDNue Forum.

Wie wichtig digitale Teilhabe ist, weil sie inzwischen gesellschaftliche Teilhabe bedeutet – und damit nicht nur alte Menschen betrifft, hat uns die Corona-Krise gezeigt. Medizinische Versorgung, Kontakte, Termine, Einkäufe, Essenslieferungen u.v.m. ließen sich zum Teil nur noch digital bewältigen. Und das Rad wird sich nie mehr ganz zurückdrehen lassen. Was im Übrigen auch gar nicht sinnvoll ist, wenn wir an die Herausforderungen etwa im Gesundheitsbereich denken und die Antworten, die der Bundesgesundheitsminister darauf geben will. Kontroll-Apps, Telematik und Online-Sprechstunden könnten dabei erhebliche Kosten sparen.

Nur ist es eine Illusion darauf zu vertrauen, dass es der Staat schon richten wird und wir uns zurücklehnen können. Die Expertenkommission tagt bereits seit 2006, ihren „Erfolg“ hat sie gerade selbst bestätigt. Das Budget beispielsweise für den „Digitalpakt Alter“ beträgt 1,4 Mio. Euro für zwei Jahre, damit wurden im ersten Jahr 10.000 Menschen erreicht. Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht und nicht gelingt, für diese und ähnliche Vorhaben eine breite Partizipation von allen Beteiligten zu organisieren, werden wir scheitern.

Was könnte (Social) Design dazu beitragen? Der Research im Problemraum, die Kombination von bestehenden Lösungsansätzen, die Beteiligung von Stakeholdern, die ergebnisoffene Lösungssuche, das Experimentieren mit Prototypen im sozialen Raum – Ansätze, die wir lieber lesen würden als Roadmap und Meilensteine. Denn es geht schließlich um gesellschaftliche Gestaltung!

 

„Andere Länder sind Jahrzehnte voraus“ (Handelsblatt vom 15.02.2023)