Nachbericht
Gamification – das Spiel mit der intrinsischen Motivation
Das #SDNue Social Design Forum hat sich anlässlich des Digital Festivals Nürnberg erneut versammelt. Dabei könnte man das Thema als eine Hommage an diesen Rahmen und an die Location, das Spielzeugmuseum Nürnberg, verstehen. „GAMIFICATION – spielend durch den Alltag“, so die Headline des Abends.
Eröffnet wurde er wie gewohnt durch die #SDNue Initiatoren und Moderatoren Sabine Schweigert und Stefan Wacker und durch ein Grußwort seitens Museumsdirektorin Prof. Karin Falkenberg. Und auch das Kennenlernen der Teilnehmenden durfte nicht fehlen. „Was bedeutet Spiel für dich?“, so die Frage in die knapp 50-köpfige Runde, die gerne mit „Neugierde“ und „Experimentieren“ antwortete.
Noch nicht interagieren konnten die online Teilnehmenden: das #SDNue Social Design Forum wurde erstmals durch Delta Veranstaltungstechnik live online übertragen, ein Stream mit der Möglichkeit der Interaktion ist dann in der kommenden Ausgabe im Oktober geplant, wie die Veranstaltenden ankündigten.
Die erstmals rein männliche Referentenrunde erfreute sich mit einem unübersehbaren, spielerischen Instinkt an den Hockern von Trend Office, die sie zum fiktiven Ritt animierten. Lockerer hätte der Abend nicht starten können. Prof. Dr. Jens Junge, Ludologe, Prof. Dr. Stefan Sütterlin, Cyberpsychologe, und die beiden Gamification-Experten Christoph Deeg und Sebastian Bender verstanden es von Beginn an, die Runde zu animieren und in einen angeregten und anregenden Austausch zu gehen. Dem voran gingen wie gewohnt vier individuelle Impulsbeiträge der Experten.
Zum Einstieg bot Prof. Dr. Jens Junge Einblicke in die Kulturgeschichte des Spielens und erläuterte, wie unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungsphasen jeweils andere Anforderungen an das Spielen stellten. Auch die psychologischen Bedürfnisse, die das Spielen abdeckt, sowie die Wirkung des Spielens auf den oder die Einzelne*n wurden durchleuchtet, ehe Junge das Octalyse-Framework von Yu-Kai Chou einführte.
Das Modell dient der Planung von Gamification Ansätzen unter Berücksichtigung unterschiedlicher motivierender Kräfte und zur Vorbeugung von Demotivation. Dabei zieht es acht Core Drives in Betracht, die dann nach ihrer Auswertung in spielerische Elemente übersetzt werden können. Mehr dazu ist in der Präsentation von Prof. Dr. Jens Junge zu sehen, die bei #SDNue zum Download bereitsteht.
Dem Vortrag folgte ein Interview mit Prof. Dr. Sütterlin. Zunächst klärte er, wie Gamification sich den wichtigsten Aspekt des Spielens zu Nutze macht: es macht Spaß! Diese Wirkung wird erzielt, indem drei Grundbedürfnisse des Menschen befriedigt werden: die Selbstwirksamkeit, die soziale Eingebundenheit und die Autonomie.
Sie alle sind Bausteine der intrinsischen Motivation. Sie anzusprechen ist die Kunst beim Entwickeln gamifizierter Inhalte. Und: Ein klares und promptes Feedback ist fundamental; das Thema Selbsteinschätzung kommt ins Spiel. Tatsächlich, so Sütterlin, kann durch Gamification die Fähigkeit der Selbsteinschätzung trainiert werden, was wiederum motivierend wirkt.
Aber auch von den Gefahren durch Dark Patterns, Manipulation oder ganz einfach von der eventuellen Unwirksamkeit mangelhaft entwickelter gamifizierter Inhalte sprach Sütterlin, wie im Mitschnitt der Veranstaltung zu hören ist.
Der dritte Experte in der Runde, Christoph Deeg, gibt sich zunächst als Jazzmusiker zu erkennen und nimmt diesen Anlass, um zu erklären, dass es bestimmter Grundregeln bedarf, um guten Jazz zu spielen – und um gute Gamification zu entwickeln. Er selbst tut dies überwiegend im Zuge von Transformationsprozessen, weist aber darauf hin: in welchem Kontext auch immer Gamification zum Einsatz kommt, sie sollte nie dazu dienen, schlechte Prozesse erträglicher zu machen, Menschen zu manipulieren und zur schnellen Abkürzung im Leben werden. Zudem sei Gamification nie mit dem Spiel oder mit dem Gaming zu verwechseln.
Auch Anwendungsbeispiele hat Deeg den Zusehenden mitgebracht: Dabei geht es um Banken ebenso wie um kulturelle Einrichtungen, um Stadtentwicklung in Afrika ebenso wie um die Gestaltung des „Haus des Wissens“ in Bochum. Bei letzterem wird ein gesamtes Gebäude unter Anwendung von Spielmechaniken entwickelt, von den Kernfunktionen und Interaktionen für das gesamte Gebäude bis hin zum Risiko- und Ressourcenmanagement. Weitere Details in Christoph Deegs Präsentation, die zum Download zur Verfügung steht.
Spannende Beispiele hatte auch Sebastian Bender im Gepäck. Mit seiner Agentur Wolpertinger und im Rahmen von Gamify-now hat er Projekte für Menschen mit Multipler Sklerose betreut. Anhand von medizinisch geprüften, gamifizierten Trainingseinheiten wurden die Betroffenen befähigt, ihren Alltag mit ihrer Krankheit besser zu bewältigen.
Auf besonderes Interesse beim Publikum traf Bender mit einem Erste-Hilfe-Kurs, der auf dem Prinzip des Escape Rooms basierte und sich somit nicht im digitalen, sondern im realen Umfeld abspielte. Das Szenario des verschlossenen Raums mit der hilfsbedürftigen Puppe nahm den Teilnehmenden die Berührungsängste und Selbstzweifel und sorgte so für jede Menge Erfolgserlebnisse.
Aber auch von Misserfolgen wagte Sebastian Bender zu berichten. So trafen gamifizierte Informationskonzepte für eine Bank auf die Regularien öffentlicher Ämter. Eine App, die im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt worden war, wurde von den gängigen App-Stores abgelehnt: nur von offizieller Seite veranlasste Apps waren in dieser Ausnahmesituation zulässig.
In der anschließenden Gesprächsrunde mit dem Publikum ließ sich ein besonders mutiger Teilnehmer darauf ein, von seinen beruflichen Erfahrungen im Umgang mit Gamification zu erzählen und diese von den Experten einstufen zu lassen. Vieles richtig gemacht, so das Fazit. Aber auch vieles, vielleicht zu vieles, gleichzeitig angestoßen, was die Erfolgserlebnisse mitunter in weite Ferne rücken lässt.
Ein weiterer überraschender Publikumsbeitrag kam von Roman Rackwitz, seines Zeichens Gamification Experte und dem Lockruf der Expertenrunde folgend gezielt aus dem Würzburger Raum angereist. Er kaperte kurzum die Bühne, um von einem besonders eindrucksvollen Beispiel von Gamification eines familiengeführten Beherbergungsbetriebes im Allgäu zu erzählen. „Nur wer Gutes tut, der bekommt auch Treuerabatte eingelöst“, so die Devise des Kundenbindungsprogramms. Die Effekte der Aktion: durchaus erstaunlich, wie Rackwitz berichtete. Intrinsisch motiviert durch den Aufruf Gutes zu tun und bestärkt durch das positive Vorbild der Gastgeberfamilie lief so mancher Teilnehmer an der Aktion zu Höchstform in punkto Kreativität und Tatendrang auf. Im Mitschnitt des Abends lassen sich die Details nachhören.
Der offizielle Teil des Abends endete mit den Danksagungen an die Partner Trend Office, Delta Veranstaltungstechnik, Digital Festival Nürnberg und Spielzeugmuseum Nürnberg. Und mit dem Hinweis auf den 11. Oktober 2023, wenn das nächste #SDNue Social Design Forum, organisiert von R28, stattfindet. Dann im Rahmen der Social Design Days von bayern design!
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN ZUM THEMA
Dies war die Veranstaltungsankündigung
- 04.07.23
- 18:30:00
- Spielzeugmuseum Nürnberg
- 0 €
- Prof. Dr. Stefan SütterlinProf. Dr. Jens JungeChristoph DeegSebastian Bender
Trend Office by Dauphin unterstützt dieses #SDNue Social DesignForum als Kooperationspartner.
Herzlichen Dank!
Gamification: die Einbeziehung spielerischer Elemente im nicht-spielerischen Kontext. Neu ist dies nicht, doch die Wirkung vervielfältigt sich im digitalen Raum. Zum Positiven wie auch zum Negativen. Lernen, Veränderungen, intrinsische Motivation, Kreativität stehen auf der Habenseite. Manipulation, Realitätsverlust und Sucht umreißen die größten Risiken.
“Spielen ist für uns Menschen überlebenswichtig – weltweit und in jedem Lebensalter”, so lautet es in der Nachhaltigkeitsstrategie des Spielzeugmuseums Nürnberg. Das Spiel als kreative Kraft, bei dem sich im Laufe der Jahrtausende und von Kultur zu Kultur lediglich das ‘Zeug zum Spielen’ verändert? Oder sind die Konsequenzen gravierender? Der “homo ludens” ein souveräner Gestalter oder schon überfordert und ausgeliefert?
In der zweiten Edition des #SDNue Social Design Forum mit dem Titel “Gamification: Spielend durch den Alltag” diskutieren wir mit Experten unterschiedlicher Fachrichtungen Gamification und Serious Games. Was macht den Unterschied zwischen der analogen und der digitalen Welt des Spielens aus? Hat sich der Kern des Spielens und des “homo ludens” überhaupt geändert? Welches Potenzial für Teilhabe und Befähigung, Lernen und Kreativität können wir uns durch die Spiele besonders im digitalen Raum erschließen? Wie profitieren Unternehmen und ihre Kunden gleichermaßen von einer spielerischen Interaktion und Beziehung? Oder geht es dabei doch nur um Manipulation mit Suchtpotenzial? Wie unterscheiden wir zwischen Realität und Spiel? Sind wir hier verantwortungsbewusster und dort leichtsinniger? Hier ängstlicher und dort zielstrebiger? Ist eine Unterscheidung zwischen Realität und Spiel gar nicht nötig, weil wir uns angesichts von Virtual und Augmented Reality und Metaversen von diesem Dualismus lösen müssen?
Teil unserer Expertenrunde sind:
- Prof. Dr. Jens Junge, Direktor am Institut für Ludologie, SRH Berlin University of Applied Sciences
- Prof. Dr. Stefan Sütterlin, Professor für Cyberpsychologie an der Fakultät Informatik der Hochschule Albstadt-Sigmaringen
- Christoph Deeg, Gestalter des digital-analogen Lebensraumes, Berater für Digitale Transformation und Transformative Gamification
- Sebastian Bender, Boss Wolpertinger bei Wolpertinger Games & Creative Director bei Gamify Now
Moderiert von Sabine Schweigert und Stefan Wacker (R28 Ventures), den Preisträgern des Deutschen Demografie Preises 2021 in der Kategorie Sonderpreis Next Practice.
Das Forum findet regelmäßig im Spielzeugmuseum Nürnberg statt, dieses Mal im Rahmen des Nürnberg Digital Festivals.
Wir freuen uns sehr über diese Kooperation.
Was ist #SDNue, das Social Design Forum Nürnberg?
#SDNue als Social Design Forum Nürnberg ist eine Weiterentwicklung der Service Design Drinks Nürnberg und will vierteljährlich gesellschaftliche Themen aus dem Blickwinkel der Disziplin des Social Design beleuchten. Impulsvorträge, Expertenrunde, Diskussionsrunde und Netzwerken, konzentriert und partizipativ an einem lebendigen, befruchtenden Abend.
Wie läuft der Abend ab?
- Dienstag, 4. Juli 2023, von 18.30 Uhr bis 21.30 Uhr
- Spielzeugmuseum Nürnberg, Karlstraße 13-15
- ab 18.00 Uhr: Eintreffen
- 18.30 Uhr: Begrüßung durch Stefan Wacker und Sabine Schweigert und allgemeine Vorstellungsrunde
- 18.50 Uhr: Impulsvorträge der Expert*innen
- 19.30 Uhr Moderierte Gesprächsrunde zum Erarbeiten kontrastierender Meinungen und/oder gemeinsamer Erkenntnisse und/oder Erfahrungsaustausch
- 20.30 Uhr: Offene Diskussionsrunde, gemeinsam mit dem Publikum
- 21.00 Uhr: Informelles Beisammensein mit Netzwerken
- 21.30 Uhr: Offizielles Ende
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Wann und wo kann ich mehr zum Thema erfahren?
Im #SDNue Blog werden vor und nach dem Forum #2 Artikel zum Thema erscheinen. Auch ein zusammenfassendes Video, Bildstrecken, Zitate- und Infosammlungen werden auf sdnue.de verfügbar sein.
Die Referierenden
Christoph Deeg
Gestalter des digital-analogen Lebensraumes, Berater für Digitale Transformation und Transformative Gamification