Es ist nicht nur „wie wir die Welt formen, sondern auch, wie die Welt uns formt… diese Wechselwirkung“, die Karianne Fogelberg interessiert und ihre Arbeit maßgeblich beeinflusst. So erklärt die Designtheoretikerin und Kuratorin im einleitenden Interview während des ersten #SDNue Social Design Forums Nürnberg, dessen Thema „Design anders denken“ ist. Dass auch Karianne Fogelberg Design anders denkt, und vor allem wie, wird anhand der Projekte deutlich, die sie gemeinsam mit Sarah Dorkenwald – konzeptionelle Designerin und Kuratorin sowie Professorin für Kommunikationsdesign – im Rahmen ihres gemeinsamen Studios UnDesignUnit München umsetzt.
UnDesignUnit entwirft Formate, mit denen auf spielerische und partizipative Weise Zukünfte erdacht werden, ausgehend vom Hier und Jetzt. Bei der inhaltlichen Aufbereitung ist der Ansatz immer interdisziplinär: zu dem jeweiligen Thema werden Expert*innen involviert, die Inhalte dann mit Methoden aus dem Design und der Designforschung eigenständig erarbeitet. Durch speziell entwickelte Props – also Requisiten, die das Imaginieren erleichtern – oder Denkanstöße informativer und sensorieller Art soll dann bei den Teilnehmenden des jeweiligen Formats ein Unlearning angestoßen werden: raus aus der eigenen Sichtweise, hin zu neuen Perspektiven. Um dann durch ein gemeinsames Erleben, Reflektieren und Sich-Austauschen zu neuen Ideen für mögliche Zukünfte zu gelangen.
Use Case Neuperlach der Tiere – Partizipativer Artenparcours während der MCBW
Jüngstes Beispiel eines solchen partizipativen Formats zur Zukunftsgestaltung ist der Partizipative Artenparcours, der anlässlich der MCBW Munich Creative Business Week 2023 stattfand. In einem Rundgang durch den Münchner Stadtteil Neuperlach haben Sarah Dorkenwald und Karianne Fogelberg erfahrbar gemacht, inwieweit der städtische Raum ein gemeinsamer Lebensraum von Mensch und Tier sein kann, und wie er gestaltet werden könnte, um Stadt als Lebensraum für beide zu fördern. Die Initiative wurde in Kooperation mit BeeTree Monitor, Studio Animal-Aided Design und dem Leuchtturm-Projekt „Creating NEBourhoods Together“ durchgeführt und war in diesem Fall für Münchner Bürger*innen ebenso wie für ein Fachpublikum aus Architektur und Landschaftsgestaltung, Kunst, Design und Stadtplanung konzipiert worden. Mit dabei waren auch eine Vertreterin aus dem Referat Soziales und Gesundheit der Stadt München, denn nicht zuletzt für die Behörden können derartige Zukunftsszenarien hilfreich bei der Bedarfsklärung und Realisierung städtebaulicher Maßnahmen sein.
Inspiration für das partizipative Konzept zogen Karianne Fogelberg und Sarah Dorkenwald aus der Promenadologie, auch genannt Spaziergangwissenschaft, von Lucius Burkhardt (1925-2003). Der Schweizer Soziologe und Planungstheoretiker entwickelte eine kulturwissenschaftliche Methode zur Wahrnehmung der Umwelt anhand reflexiver Spaziergänge und ästhetischer Interventionen.
Im Rahmen des Partizipativen Artenparcours in München-Neuperlach wurden somit an verschiedenen ausgewählten Orten des Stadtviertels wildlebende Tiere als Stadtbewohner vorgestellt und ihre jeweilige Wahrnehmung von urbaner Umwelt, ihre Bedürfnisse und Verhaltensweisen durch Aktionen erfahrbar gemacht. Mal galt es, den Lebensraum einer Zauneidechse anhand von Schnüren abzumessen und innerhalb dieses Terrains zu prüfen, inwiefern das Reptil hier geeignete Lebensbedingungen vorfindet. Mal ein bisschen selbstironisch einen Schnabel vorzubinden, um Oberflächen zu beklopfen und so anhand des Klanges festzustellen, weshalb Spechte dazu tendieren, im Verbunddämmmaterial von Hausfassaden ihr Nest zu bauen. Ein Perspektivwechsel experimenteller Art.
Auch sogenannte Kulturfolger wie Eichhörnchen und Spatzen, freilebende Honigbienen und Zwergfledermäuse rückten in den Fokus der Teilnehmenden, unter Anleitung der unterschiedlichen Expert*innen und mithilfe von Tier-Steckbriefen, die von UnDesignUnit ausgearbeitet worden waren.
Um die Erkenntnisse aus den Informationen und Beobachtungen zu reflektieren und Ideen zu spinnen, wie denn ein Zusammenleben von Mensch und Tier gewinnbringend für beide Seiten gefördert und gestaltet werden könne, luden Karianne Fogelberg und Sarah Dorkenwald anschließend zum Zukunftsforum. Hier ermöglichten Stadtcollagen den Teilnehmenden selbst zu veranschaulichen, für wen und wie die Stadt verändert werden soll. Und in Tauschbörsen konnten Szenarien möglicher Synergien und Symbiosen entworfen werden: „Biete Balkonblumen für verschiedene Bedarfe – Frau X“; „Suche Nistplatz – die Wildbiene“; „Tausche Besuch in Blütenkelch gegen ein leises Surren; Herr Y“ mag da gestanden haben.
Eine Fortsetzung des Partizipativen Artenparcours in München-Neuperlach ebenso wie in anderen Stadtvierteln ist bereits angedacht.
Use Case „Die Spekulative Dinner Performance“
Nicht nur mit dem neuesten Projekt von UnDesign Unit engagieren sich Sarah Dorkenwald und Karianne Fogelberg beim Thema des Schutzes unseres Planeten. Auch die Spekulative Dinner Performance – Superfood der Dürre ist als partizipatives Format zum Klimaschutz entstanden und fragt daher: Wie sieht die Zukunft der Ernährung im Zeitalter des Klimawandels aus? „Das ist zunächst mal ein sehr großes Thema“, so Karianne Fogelberg bei ihrem Vortrag zum Spekulativen Dinner im Rahmen des #SDNue Social Design Forums, „das wir aber im Verlauf des Abends versuchen, herunterzubrechen, ein Stück weit nahbarer zu machen, indem wir ein Erlebnis schaffen, bei dem man durch die unterschiedlichen Sinne – das Riechen, das Schmecken natürlich – sich mit möglichen Zukunftsmenüs befasst und diese auch verkostet werden.“
Eingeleitet wird ein solches Spekulatives Dinner von verschiedenen Zukunftszenarien wie steigenden Meeresspiegeln, Starkregenereignissen und Dürreperioden, woraus geringere Anbauflächen und anderen aktuelle Herausforderungen resultieren. Allerdings sollen im Laufe des Abends durch diese Narrative und das kreative Potenzial von Design positive Erlebnisse freigesetzt werden, die eben nicht in dystopischen Visionen verharren, sondern wichtige Fragestellungen in den Fokus rücken und sowohl konstruktiv als auch partizipativ Alternativen andenken.
Komplize bei dieser Mission ist das Erleben: es werden neue Zutaten vorgestellt und verkostet und auf Matrixkarten mit Attributen wie „sättigend“, „proteinreich“ oder „wasserintensiv“ verschlagwortet, um die Zutaten in ihren Auswirkungen jeweils in Bezug zum Klima, zum Ökosystem oder zum Nährstoffhaushalt zu setzen. Um einige multisensorische Eindrücke reicher, können die Teilnehmenden am Ende der Veranstaltung anhand einer Matrix mit Fragen wie z. B. was sie weniger, mehr oder gar nicht mehr essen wollen, mit den Matrixkarten beantworten und so ihr eigenes Zukunftsmenü zusammenstellen. Dabei haben sie im Idealfall Berührungsängste mit weniger bekannten Lebensmitteln überwunden, um sich so einer klimafreundlicheren Ernährung zu öffnen.
Ziel einer solchen Spekulativen Dinner Performance ist es, das kritische Potential von Design freizusetzen und mit den Möglichkeiten der Spekulation vorgefertigte Meinungen und Konventionen sowie existierende Zukunftsentwürfe zu hinterfragen. Alternative Denk- und Handlungsräume können so erlebt, diskutiert und verhandelt werden und im besten Fall, kann sich jeder fragen, welchen Beitrag er oder sie anhand einer klimafreundlichen Ernährung zum Wandel beitragen möchte.

Die Spekulative Dinner Performance (Foto: Oliver Killig)