28. August 2023 / #SDNue / Stefan Wacker

„Das, was Design muss, kann es im Moment nicht“

Panel Diskussion mit Prof. Annette Diefenthaler

Foto: Leon Greiner (LÉROT) und #SDNue

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Ein Gespräch über die aktuellen Herausforderungen und Chancen für die Disziplin Design und wie Prof. Annette Diefenthaler diese an der TU München mit ihrem Auftrag für „Design und Transdisziplinarität“ angeht.

„Changing Perspectives“

Im Rahmen einer von BWM Group Design und Die Neue Sammlung organisierten Panel Diskussion sprach #SDNue mit Prof. Annette Diefenthaler, die seit Januar 2023 an der TUM School of Engineering and Design als Professorin für “Design and Transdisciplinarity“ wirkt. Zusätzlich ist sie als Executive Director des neu gegründeten Munich Design Institutes mit der Aufgabe betraut, ein integratives Forschungszentrum aufzubauen, das Forschung durch und über Design im Kontext der TUM verankert.

„Changing Perspectives“, war das Thema der Matinee, zu der wir Annette Diefenthaler trafen. Die Veranstaltung brachte unter dem übergeordneten Titel „New Modes“ zum dritten Mal Experten unterschiedlicher Fachbereiche und ein zahlreiches Publikum zusammen. Im Mittelpunkt stand diesmal das Potenzial von Interdisziplinarität als befähigendes Moment für den gesellschaftlichen Wandel.

Design hat eine starke Sichtbarkeit erreicht

Kein Zufall also, dass es hier vornehmlich um Design ging, denn in der Interdiszplinarität oder der Transdisziplinarität – also nicht nur zwischen den Disziplinen, sondern über die Disziplinen hinaus – liegt ein wesentlicher Kern der Design-Disziplin. Für diese erweisen sich die aktuellen Zeiten nach Einschätzung von Annette Diefenthaler gerade als sehr günstig: „Design hat eine große Sichtbarkeit erlangt in den letzten 10, 20 Jahren. Die weite Verbreitung von Design Thinking, die ja insgesamt nicht unproblematisch ist, hat dazu beigetragen. Mittlerweile weiß man, dass es nicht nur um das Endprodukt geht, also den teuren Schuh oder das teure Möbelstück, sondern dass Design ein Prozess ist, eine Herangehensweise, eine Denkweise. Das ist jetzt breit verstanden worden, und dadurch haben sich Türen geöffnet. Es ist also kein Zufall, dass das Weiße Haus in den USA mittlerweile Designer und Designerinnen anstellt. Früher war das nicht so, das war überhaupt nicht denkbar. Diese neuen Positionen und Zugangsmöglichkeiten eröffnen neue Einflussbereiche. Aber das erfordert wiederum das Mitlernen und Weiterentwickeln der Disziplin. Das ist jetzt die Aufgabe.“

Design als grundlegende Kompetenz an der TUM

Die TUM hat das erkannt und will Design als eine Kompetenz breit in der Universität verankern, als Teil der Mission, die Zukunft verantwortlich gestalten zu können – sehr vorausschauend, aber auch ambitioniert, so Annette Diefenthaler. Denn klar ist für sie auch: „Ich glaube, was Design muss, kann es im Moment nicht. Die Disziplin muss sich weiterentwickeln. Wir müssen uns schon auch ein Stück verdienen, jetzt da mitspielen zu dürfen, wo wir uns Zugang verschafft haben.“
Ganz konkret bedeutet dies laut Diefenthaler: „Gemeinsam mit meiner Kollegin Prof. Katja Thoring werde ich an der TUM in den nächsten Jahren einen Design-Studiengang aufbauen. Eines unserer Versprechen für diesen Master-Studiengang wird sein, Transdisziplinarität zu leben. Wenn du als Designerin, als Designer zu unserer Kohorte dazukommst, hast du hier die Möglichkeit, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die aus der Medizin, aus den Ingenieurswissenschaften, aus den Sozialwissenschaften etc. kommen. Und wir können dann gemeinsam designerisch an komplexen Lösungen arbeiten.“ Diefenthaler ist dabei aber wichtig, dass Absolventen und Absolventinnen des Design Studiengangs nicht nur ein Designverständnis, sondern auch grundlegende Fertigkeiten – das Handwerkszeug des Designs – erwerben.

Annette Diefenthaler und Stefan Wacker im Gespräch sitzend an einem Tisch

Annette Diefenthaler und Stefan Wacker, Foto: Leon Greiner (LÉROT)

Transdisziplinarität in der Designausbildung

Wie soll dabei Transdisziplinarität umgesetzt werden und was bedeutet das für die Designausbildung? „Die Hypothese meiner Professur ist, dass Design über das, was es jetzt ist, hinauswachsen wird und muss und kann“, so Diefenthaler. „Wenn wir transdisziplinär arbeiten, wird sich auch Design dadurch weiterentwickeln. Konkret sieht das so aus, dass ich zum Beispiel mit meinen Lehrveranstaltungen, die ich jetzt entwickle, Studierende aus ganz verschiedenen Schools der TUM ansprechen möchte.“

Ein Erfolg dieses Vorhabens wäre laut Annette Diefenthaler, diese neuen Veranstaltungen ab dem ersten Tag mit Studierenden verschiedener Fachrichtungen besetzt zu sehen. Ein Ziel, das sie für nicht leicht zu erreichen hält, da Studienprogramme langfristig geplant und aufgebaut sind und eine neue Transdisziplinarität auch unter praktischen Aspekten erst organisiert werden muss.

Dennoch zeigt sich Diefenthaler zuversichtlich in Bezug auf das Potenzial dieses Ansatzes: „Ein anderer Bereich, in dem sich das auch – wie ich hoffe – sehr stark abbilden wird, ist das Forschungsinstitut, das ich aufbauen darf: das Munich Design Institute, ein integratives Forschungsinstitut. Die Idee ist, dass wir Forscher und Forscherinnen aus der gesamten Universität dort zusammenbringen können, um designbasiert Fragestellungen zu bearbeiten. Dabei muss nicht jeder Forschende ein Designer oder eine Designerin sein. Aber ich erwarte, dass in den Forschungsgruppen ein Grundverständnis für Design entwickelt wird und sie sich trauen, sich auf diesen Prozess einzulassen, um erkennbar designerisch gestaltete Ergebnisse zu schaffen.“

Design ist mehr als nur eine „Klammer“

Design soll dabei also mehr sein als nur eine „Klammer“, mehr als eine gemeinsame Sprache, die unterschiedliche Disziplinen verbinden kann. „Design ist eine eigene Disziplin mit zahlreichen Methoden, die designerisches Arbeiten ausmachen. Einige davon sind gerade im Kontext einer Technischen Universität wie der, an der ich tätig bin, besonders wertvoll“, so Diefenthaler, die dann ausführt: „Da ist zum einen das Bearbeiten eines Problems mit designerischen Herangehens­weisen. Wir hinterfragen das Problem: ‚Ist es überhaupt lösenswert?‘ Dazu beziehen wir Menschen in den Prozess mit ein, die von einer Lösung betroffen sein könnten, und formulieren unter Umständen die Fragestellung nochmals neu.“

Diese iterative Herangehensweise hält Annette Diefenthaler als gestalterischen Ansatz für äußerst wichtig, benennt aber auch eine Herausforderung: „Es braucht viel Mut zu sagen, ich habe eine ganze Menge investiert, stelle jetzt aber fest, dass wir unsere Fragestellung nochmal neu denken müssen. Das ist vor allem in einem unternehmerischen Kontext nicht immer einfach.“

Eine weitere wichtige Fertigkeit und Kompetenz im Design: das Visionieren, die Vorstellungskraft. Natürlich ist die Fähigkeit, Dinge und Prozesse zu erdenken, die es noch nicht gibt, nicht allein dem Design vorbehalten. Doch Diefenthaler unterscheidet: „Von Designern und Designerinnen erwarte ich, dass sie eine Zukunftsvorstellung zum einen konsequent und strategisch erarbeiten und dann auch so darstellen können, dass sie für andere erfahrbar, inspirierend und verständlich ist. Das sind designerische Kompetenzen, die gerade in diesem Moment einen unheimlichen Mehrwert bedeuten, in dem Zukunft immer komplexer und damit weniger fassbar wird. Wir brauchen eine Vorstellung von dem, was lebenswert ist und uns Hoffnung gibt.“

Was braucht Social Design?

Mit dem Gestalten gesellschaftlicher Probleme und Aufgaben, also mit dem Social Design, mit dem Entwerfen einer Welt, in der wir leben möchten, befasst sich auch #SDNue. Wie kann nun diese Veränderung gelingen, wer wird Treiber und Sponsor solcher Veränderungen sein? „Ich glaube, wir können nicht weiter immer nur von Transformation reden und nicht auch Geld dahinter stellen“, gibt Annette Diefenthaler zu bedenken. „Ich hoffe, in der Wirtschaft ist der Leidensdruck langsam groß genug. Es reicht nicht mehr, sich soziale Verantwortung und Klimaverantwortung auf die Webseite zu schreiben. Es wird inzwischen erwartet, dass Ergebnisse geliefert werden, (…) und ich denke insgesamt ist es gut, wenn der Anspruch an soziale und regenerative Verantwortung steigt. Vor 10 Jahren war das noch nicht so. Wir sehen inzwischen überall positive Anfänge und insofern hoffe ich tatsächlich, dass damit auch aus der Wirtschaft Finanzierungen wachsen, die zukunftsweisendes Gestalten möglich machen. Das haben wir heute im Panel auch von BMW gehört.“

Prof. Annette Diefenthaler

Prof. Annette Diefenthaler, Foto: Leon Greiner (LÉROT)

Design zur sozialen und regenerativen Transformation messbar machen

Wie lässt sich diese Entwicklung fördern, was kann Lehre und Forschung dafür tun? Annette Diefenthaler hat sich in diesem Zusammenhang große Ziele gesetzt: „…20 Jahre Arbeit etwa: mein Ziel ist, mich mit der Darstellbarkeit und Messbarkeit des Beitrags von Design zur sozialen und regenerativen Transformation zu befassen. Aktuell können wir vor allem den wirtschaftlichen Wert von Design beziffern. Mit Klickzahlen, Verkaufszahlen oder ähnlichem. Aber so richtig verlässliche und auch allgemein anerkannte Kriterien, was soziales Design bewirkt, haben wir noch nicht. Hier müssen wir kritisch auf unsere eigene Arbeit sehen: inwiefern leistet soziales Design mehr oder etwas anderes als das, was andere in solchen Bereichen gemacht haben? Wie können wir darstellen und belegen, welche Wirkung Design in sozialen Projekten entfaltet? Das ist diffizil, weil gerade das, was Messbarkeit ausmacht, oft eine gewisse Starre bedeutet. Es widerspricht dem, was an Raum geschaffen werden muss, um kreativ und gemeinsam gestalterische Lösungen zu schaffen.“ Eine Gratwanderung also, die laut Diefenthaler in anderen Bereichen bereits gelingt: „Ich finde da sehr interessante Ansätze. Ein Beispiel ist das Gesundheitswesen, wo kluge Leute schwer messbare Dinge und komplexe Zusammenhänge nachverfolgen. Davon können wir lernen. Dann hoffe ich, dass wir ganz klar sagen können: Das kann Design leisten, hier ist eine evidenzbasierte Studie. Das ist mein Ziel.“