22. August 2023 / #SDNue / Redaktion SDNue

Let‘s play: Ein Blick auf Gamification

Visual zu Gastbeitrag von Tommy Kohlmann, im Hintergrund Game Display mit Schriftzug "Game Over"


Quelle: Unsplash (https://unsplash.com/de/fotos/bS46IAXWAO4) und #SDNue

Ein Gastbeitrag von Tommy Kohlmann darüber, was man unter Gamification versteht, wie man bei Gamification von Prozessen vorgeht und was es mit der Player’s Journey auf sich hat. Immer mit dem Bezug zu Online-Umfragen als konkretem Umsetzungsbeispiel.

Der Begriff „Gamification“ ist inzwischen einer größeren Menge an Leuten geläufig. Trotzdem haben die meisten Personen nur eine vage Vorstellung davon, was damit gemeint ist oder was sich alles zu diesem Begriff zählen lässt. Diese Frage ist tatsächlich auch in der Wissenschaft nicht eindeutig geklärt und so existieren viele verschiedene Ansätze, Modelle und Definitionen von Gamification. Was sie alle gemeinsam haben: Sie wollen Tätigkeiten oder Prozesse, denen nicht gerne nachgegangen wird (es wird von einer niedrigen intrinsischen Motivation gesprochen), spielerischer gestalten, damit sie als spaßiger wahrgenommen werden und häufiger oder einfacher durchgeführt werden können. Dieses Vorgehen ist dabei im Grunde nichts Neues, denn beispielsweise schon die Montessori-Pädagogik bediente sich ähnlicher Prinzipien – nur, dass damals noch nicht von Gamification die Rede war.

Wie funktioniert Gamification? Einfach ein paar Mini-Games einbauen und fertig ist der gamifizierte Prozess? Theoretisch ist das eine Möglichkeit, ABER es gehört so viel mehr zu wirksamer Gamification, dass sich ein genauerer Blick lohnt.

Gamification – eine mögliche Definition

Fangen wir bei dem Begriff an: Gamification ist eine Wortschöpfung, die in den 2000er Jahren entstand, von der wachsenden Industrie der Video-Spiele profitierte und die Verwendung von Spielelementen in nicht spielerischen Kontexten beschreibt.

Spielelemente im Sinne von Details oder Eigenschaften, die in Spielen wiedergefunden werden können, wie zum Beispiel Punkte, Level, Missionen oder Charaktere. Nicht spielerische Kontexte im Sinne von einer Tätigkeit, die eindeutig nicht als Spiel wahrgenommen wird, wie zum Beispiel das Zähneputzen, den Müll rausbringen oder eine Online-Umfrage zu beantworten.

Einer, der sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, ist Yu Kai Chou, ein taiwanesisch-amerikanischer Unternehmer, Autor, Redner, Unternehmensberater und Experience Designer. Er ist seit 17 Jahren Gamification-Experte und berät Unternehmen, die Prozesse gamifizieren wollen. Von ihm stammt das Gamification-Framework „Octalysis“ – eines der vielen Modelle, die zum Thema Gamification existieren und auf das sich dieser Artikel bezieht. In diesem Framework werden 8 grundsätzliche Treiber der Motivation definiert, die Punkte wie den „sozialen Einfluss“ („Kunden, die X kauften, kauften auch Y“), die „epische Bedeutung“ („Werde Gold-Mitglied und sichere dir exklusive Vorteile“) oder die „Verlustangst“ („Dieses Angebot ist nur noch heute gültig“) beinhalten.

Der menschliche Spieltrieb wird sich folglich zu Nutzen gemacht, um Motivation zu generieren, damit gewisse Abläufe oder Handlungen beispielsweise öfter oder bevorzugt durchgeführt werden. Dabei lassen sich explizite und implizite Formen der Gamification unterscheiden.

Mit expliziter Gamification im Alltag sind vermutlich bereits viele Personen (wissentlich oder unwissentlich) in Kontakt gekommen. Man nehme Social Media Likes oder das McDonalds Monopoly als Beispiel. In diesem Fall ist für Außenstehende meistens erkennbar, dass Spielelemente integriert wurden. Implizite Gamification ist hingegen nicht so eindeutig als solche zu erkennen. Die Preisfindung durch Handeln/Feilschen auf Märkten oder Basaren stellt zum Beispiel eine Form der impliziten Gamification dar, genauso wie Formen der künstlichen Verknappung (z.B. eine Anzeige auf Shopping-Plattformen, dass ein bestimmter Deal nur noch für 30 Minuten verfügbar ist). Diese Elemente würden die meisten Personen nicht als Gamification wahrnehmen und trotzdem haben sie das Potenzial, uns in unseren Entscheidungen zu beeinflussen.

Die Octalysis stellt eine von mehreren Möglichkeiten zur Analyse und Strukturierung von Gamification dar. Darüber hinaus existieren selbstverständlich noch weitere Modelle/Frameworks zum Thema Gamification.

Gamifizierung von Prozessen

Nimmt man nun den Prozess einer Online-Befragung und versucht diesen spielerischer zu gestalten, sollte das immer von einer bestimmten Zielsetzung aus geschehen. Dabei müssen zuerst (Teil-) Ziele überlegt werden, die mit Hilfe von Gamification (-elementen) erreicht werden sollen. Als mögliche Zielsetzungen könnten hier beispielsweise eine höhere Teilnahmequote oder längere bzw. qualitative Antworten auf offene Fragen genannt werden.

Ist die Zielsetzung festgelegt, lohnt es sich, den Prozess aus Kundensicht einmal komplett und detailliert von Anfang an durchzugehen. Dabei wird jeder einzelne Schritt festgehalten, den eine Person dabei vollziehen kann. Das fängt beim Öffnen der Aufforderung zur Teilnahme an und beinhaltet auch einzelne – vermeintlich selbstverständliche – Aktionen, wie zum Beispiel das Klicken auf einen Button. Ein Testing mit verschiedenen Personen/Zielgruppen, die den Prozess einmal komplett durchlaufen, kann an dieser Stelle unterstützend und hilfreich wirken. Anschließend wird überlegt, welche Spielelemente in den Prozess integriert werden können und inwiefern diese eingesetzt werden können, damit die Teilnehmer:innen diese Schritte so intuitiv wie möglich durchlaufen und nicht zwischendurch das Interesse verlieren und abbrechen. Jeder Schritt sollte dabei so kompliziert wie nötig gestaltet werden, eine logische und nachvollziehbare Handlung darstellen und im besten Fall sogar Spaß machen.

Vier Phasen der Player’s Journey

Nach dem Octalysis-Framework lässt sich der Zyklus, den eine Person beim Spielen durchläuft, in vier verschiedene Phasen unterteilen, die aufeinander aufbauen. Die Discovery-, Onboarding-, Scaffolding- und die End-Game-Phase. Die zuvor festgelegten Teilschritte, die die Befragten durchlaufen, können nun ebenfalls in diese vier Phasen aufgeteilt werden.

In der Discovery-Phase kommt eine Person das erste Mal mit dem Angebot des Unternehmens bzw. in diesem Fall mit der Einladung zur Umfrage in Kontakt.

Hier gilt es nun, Interesse und Motivation an der Teilnahme zu generieren. Dabei sollten vor allem Gründe für die Teilnahme geliefert werden – ein Punkt, der erfahrungsgemäß bei vielen Umfragen vernachlässigt wird. Es sind dann beispielsweise Sätze zu lesen wie: „Nehmen sie sich ein paar Minuten Zeit und beantworten sie unseren Fragebogen.“ Damit wird der jeweiligen Person mitgeteilt, WAS getan werden sollte – aber nicht WARUM das von Relevanz ist. Um diese Lücke des WARUMs zu schließen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, zum Beispiel Neugierde oder Sympathien wecken und gezielt triggern oder den Stellenwert des Feedbacks hervorheben („Damit bewertest du nicht nur uns als Team, sondern hilfst uns auch dabei, unsere Abläufe zu verbessern.“).

In der darauf folgenden Onboarding-Phase werden den User:innen alle Regeln und Abläufe erklärt. Diese Phase sollte optimalerweise kurz und knapp gestaltet sein, dabei jedoch ausreichend Überblick und Orientierung bieten. Der/Die Befragte sollte sich letztendlich einfach auf dem Interface zurecht finden und genau wissen, worauf er/sie sich einlässt, was erwartet wird und wie lange der Vorgang dauert. Das kann auf mehreren Wegen elegant gelöst werden, zum Beispiel in Form einer Erzählfigur, die durch das Onboarding führt, ein Video-Tutorial oder in Form von visuellen Hinweisen/Infobuttons, die nacheinander angeklickt werden können. Auch weit verbreitete Elemente, wie ein Fortschrittsbalken (Orientierung) können in dieser Phase erstmals zum Einsatz kommen.

Die Scaffolding-Phase bezeichnet nun den eigentlichen Prozess der Umfrage bzw. der Beantwortung. Um das Prinzip „Frage-Antwort“ etwas aufzulockern und abwechslungsreich zu gestalten, könnten hier beispielsweise Mini-Games (explizite Gamification) eingebaut werden. Diese haben das Potential, den Spaßfaktor zu erhöhen und sollen die Teilnehmer:innen davon abhalten, den Vorgang abzubrechen.

Ein spielerischer Kontext muss jedoch nicht zwingend durch aufwändig konstruierte Spiele geschaffen werden. Das kann schon durch die Formulierung der Frage erreicht werden, indem zum Beispiel gefragt wird: „Stell dir vor, du kannst bis an dein Lebensende nur noch ein Gericht essen. Welches wäre es und wie bereitest du es zu?“ Anstatt zu fragen: „Was ist dein Lieblingsessen?“

In dieser Phase müssen auch Entscheidungen über die Fragetypen (Skala, Multiple-Choice, Bilderauswahl etc.), den Einsatz von Zusatzinformationen und Medientypen (Bilder, Animationen, Tonaufnahmen etc.) getroffen werden. Alles mit dem übergeordneten Ziel, den Usern die Beantwortung so einfach wie möglich zu machen und Missverständnisse und Verfälschungen des Feedbacks zu vermeiden. Hier kann sich kreativ ausgetobt werden, wobei die Möglichkeiten und die Umsetzung am Ende immer noch vom jeweils ausgewählten Umfrage-Tool abhängig sind.

Die letzte Phase (End-Game) tritt ein, wenn sich die User entscheiden, mit der Befragung aufzuhören und der Kontext aufgelöst wird – optimalerweise passiert das nach der letzten Frage. An dieser Stelle sollte nochmals abschließend auf mögliche Incentives oder andere Spielelemente eingegangen werden, die zuvor verwendet oder in Aussicht gestellt wurden. Die Teilnehmenden sollten mit einem guten Gefühl „entlassen“ werden und in der Hinsicht bestärkt werden, dass es die richtige Entscheidung war, an dieser Umfrage teilzunehmen. Da visuelle Eindrücke in der Regel als wirkungsstärker wahrgenommen werden als geschriebener Text, könnte an dieser Stelle beispielsweise ein Bild des Marktforschungs-Teams erscheinen, das sich bei der befragten Person bedankt.

Fazit

Gamification alleine ist also kein Erfolgsgarant. Der erfolgreiche Einsatz erfordert eine umfangreiche Analyse der Zielgruppe und des gesamten Prozesses (vier Phasen der Player-Journey und alle einzelnen Teilschritte, die in diesen Phasen durchlaufen werden). Viele Inhalte überschneiden sich dabei mit anderen Disziplinen wie dem UX-Design (Gestaltung) und der Verhaltenspsychologie (Motivation generieren bzw. Demotivation verhindern), von denen angewandte Gamification profitieren kann. Dabei sollten die verwendeten Elemente immer zielgerichtet eingesetzt werden und einen Mehrwert für User und Unternehmen bieten.

Wird dies erfolgreich geplant und umgesetzt, ist der Rest nur noch ein Kinderspiel 😉

 

Über den Autor:

Foto von Tommy Kohlmann, Gastautor für #SDNueIch bin Tommy, 27 Jahre alt, Outdoor- und sportbegeistert mit einer Faszination für Design und Kunst. Meinen Master habe ich im Bereich Marketing und Medien absolviert. Mit Gamification – im Speziellen mit dem Octalysis Framework – habe ich mich während meiner Masterarbeit intensiv beschäftigt und diese im Team des Nürnberg Digital Festival geschrieben. Meinen LinkedIn Kontakt findet ihr hier.

 

 

 

Eine kürzere Version dieses Artikels ist zuerst auf nuedigital erschienen.