13. September 2023 / Forum / Sabine Schweigert

Gamification Experte Roman Rackwitz im Interview

Über die bedingte Wichtigkeit pünktlicher Züge, die motivierende Macht des Scheiterns und wie aus einem störenden Schüler einer der einflussreichsten Gamification-Experten wurde.

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Roman Rackwitz mit Mikrofon, Im Vordergrund Schriftzug

Foto: #SDNue

Man könnte es einen Zufall nennen, der uns Initiatoren von #SDNue in Kontakt mit Roman Rackwitz brachte. Und doch ist es kein Zufall! Schon während der Ankündigung unseres Social Design Forums zum Thema Gamification im vergangenen Juli stößt Rackwitz über die Profile unserer Referenten Prof. Dr. Jens Junge und Christoph Deeg auf unseren Veranstaltungstermin. Und obwohl er selbst als eine der wichtigsten Figuren in der deutschsprachigen Gamification-Branche gilt, zögert Rackwitz nicht, sich selbst als Teilnehmer anzumelden. Die Freude für uns Veranstalter ist dabei groß, einmal mehr, als er dann vor Ort kurzerhand die Bühne kapert und auf äußerst sympathische und unterhaltsame Weise von einem spannenden Fallbeispiel berichtet. Zu sehen in diesem Ausschnitt unserer Veranstaltung.

GAMIFICATION: MIT FREUDE DABEIBLEIBEN

Im Anschluss verabreden wir uns mit Roman Rackwitz zu einem Interview, zu dessen Beginn der Experte uns seine knappe Definition von Gamification gibt: „Für mich ist Gamification ein Interaktionsdesign mit dem Ziel, dass die Leute mit Freude dabeibleiben, etwas zu tun. Ziemlich simpel. Das heißt, es kann um eine Interaktion mit einer Software gehen, es kann um eine Interaktion mit einem Prozess gehen, mit einem Event, mit einer Beziehung, also um alles, wo der Mensch mit anderen Menschen oder mit Tools oder Produkten interagiert. Dort kannst du überall versuchen, Gamification einzusetzen.“

AUSGEDIENT: DER HOMO OECONOMICUS

Rackwitz selbst hat Betriebs- und Volkswirtschaftslehre studiert und muss zugeben: „Ich war ziemlich verwundert, dass man in diesem Studium immer von einem rationalen Menschen ausgeht, von diesem berühmten Homo Oeconomicus als Vorbild. Jeder weiß, den gibt’s nicht und trotzdem beziehen sich alle Modelle darauf. Und ich merkte: ‚Also so kannst du auf diesem Homo Oeconomicus nicht aufbauen‘. So habe ich dann angefangen, mich für Verhaltenspsychologie zu interessieren und bin auf den Bereich der intrinsischen Motivation gestoßen. Es gibt Situationen, in denen der Mensch eine Performance aus sich herausholen kann, scheinbar mühelos, freiwillig. Dort schafft er es, Charakteristika an den Tag zu legen, die wir alle immer gerne hätten. Und die die Wirtschaft auch gerne hätte. Oder wir als Gesellschaft.“

Sabine Schweigert und Roman Rackwitz im Gespräch bei SDNue Ed 02 Gamification

Sabine Schweigert und Roman Rackwitz im Gespräch bei #SDNue Ed 02: Gamification, Foto: #SDNue

SCHULE IST ÄTZEND

So kommt es, dass Roman Rackwitz sich bereits während des Studiums fragt, in welchem Umfeld diese sogenannten Peak Performances aus einer rein intrinsischen Motivation heraus erreicht würden. Erinnerungen an die eigene schulische Performance bleiben dabei nicht aus: „Die Schule war immer ätzend. Die Lehrer kommentierten ‚Roman kann nicht stillsitzen, lenkt alle um sich herum ab, er strengt sich nicht an, geht immer den leichtesten Weg‘. Aber für die Theatergruppe konnte ich eine Stunde Monolog auswendig lernen. Ich konnte stundenlang vorm Computer stillsitzen. Ich habe Leistungshandball gespielt …“.

Was macht Hochleistung also abrufbar? Rackwitz stößt immer wieder auf einen Zusammenhang mit der Spielindustrie, findet schließlich Parallelen zu Sport, Musik und Hobbys im Allgemeinen. „In diesen Situationen ist es so, dass der Mensch intrinsisch motiviert ist. Das bedeutet, du machst etwas, weil du es machen willst, weil du in dem Machen selbst eine unglaubliche Befriedigung empfindest“, so Rackwitz, der dieser Erkenntnis nachgeht, um die zugrundliegenden Strukturen zu entschlüsseln und dann anhand ähnlicher Mechanismen „andere Situationen, die wir als weniger attraktiv finden, neu zu denken“.

MIT INTRINSISCHER MOTIVATION UND GAMIFICATION IM GEPÄCK

Der nächste Meilenstein für Rackwitz liegt im Silicon Valley, wo er im Rahmen einer Veranstaltung mit Gabe Zichermann – einem weltweit führenden Experten zum Thema Gamification – auf Gleichgesinnte aus aller Welt trifft und erkennt: „Oh, wow, warte mal, da gibt’s etwas, wovon ich total überzeugt bin, was für mich neu ist, wo ich glaube, da kann ich weitermachen. Und es scheint gerade eine Branche aufzukommen, die sich das zu eigen macht.“ Es ist das Jahr 2007, Rackwitz hat auf seiner Rückreise nach Deutschland Gamification im Gepäck und wird schon bald erkennen, dass sich damit auch Geld verdienen lässt.

GAMIFICATION MUSS INS PRODUKT

Seitdem ist viel Zeit vergangen, Gamification hat – nicht zuletzt dank Figuren wie Roman Rackwitz – an Bekanntheit gewonnen und es sind nicht mehr nur wirtschaftlich starke Branchen wie Versicherungen, die Mobilitätsindustrie oder die Medizin- und Pharmaindustrie, die sich an das Thema heranwagen. Prinzipiell sind alle Branchen am Potenzial von Gamification interessiert, allerdings mit einem aktuellen Schwerpunkt, was den Anwendungsbereich angeht. Rackwitz erzählt aus seiner Erfahrung: „Im deutschsprachigen Raum kommen die meisten Anfragen für Gamification aus dem Bereich HR, gefolgt von den Bereichen Weiterbildung, Recruiting und Onboarding. International sieht das schon wieder anders aus: in den USA geht es viel stärker um Marketing, der Fokus ist kundenlastig. Was jetzt so langsam kommt weltweit, ist die Produktentwicklung. Wie kann man Gamification direkt ins Produkt einbauen?“

Grafik zu Aktivitäten, eine gerade Linie: Wie die meisten Aktivitäten aufgebaut sind, eine gezackte Linie: Was man glaubt, wie wir Menschen Aktivitäten gerne hätten, Labyrinth: Was für Aktivitäten der Mensch wirklich wertschätzt

Gamification keine Lösung für Standardisierung, Grafik: Roman Rackwitz

GAMIFICATION KEINE LÖSUNG FÜRS FLIESSBAND

In welchem Umfeld auch immer man Gamification einsetzt: laut Rackwitz ist wichtig zu bedenken, dass gerade „…dort, wo es nur um repetitiv monotone Aufgaben geht – also im schlimmsten Fall der klassische Fließbandeinsatz – dort brauchst du Gamification nicht. Dort brauchst du eine extrinsische Motivation. Das ist forschungstechnisch seit Jahrzehnten erwiesen.“

Dennoch sind Punkte- und Prämiensysteme die bei den Unternehmen beliebtesten und am häufigsten angewendeten Gamification-Elemente. Darin sieht Rackwitz auch das Problem für die Methode Gamification auf dem Markt: „Wir wandeln uns ganz klar zur Innovations-Dienstleistungsgesellschaft und sind immer abhängiger von der individuellen kognitiven Leistung des Einzelnen. Gleichzeitig behalten wir aber die alten Strukturen, zum Beispiel extrinsische Motivationen, komplett bei, weil sie während der Industrialisierung so erfolgreich waren: Stichwort Fließbandarbeit. Hier entsteht also gerade eine Riesendiskrepanz.“

 GAMIFICATION ÜBER KURZ ODER LANG?

Jedes Unternehmen, das mit dem Thema Gamification liebäugelt, sollte sich also vorab bestimmte Fragen stellen. Wie Rackwitz erläutert, ist das neben der Klärung, ob es um standardisierte, monotone Abläufe oder um kreative Tätigkeitsfelder geht, auch eine Frage wie „Willst du nur, dass jemand einmal oder sehr kurzfristig etwas macht? Oder willst du, dass die Leute etwas oft machen, über einen langen Zeitraum? Wenn’s das Erste ist, vergiss Gamification, dann ist das mit Kanonen auf Spatzen geschossen“. Der Grund klingt einleuchtend und erschließt sich laut Rackwitz beim direkten Vergleich mit traditionellen Spielen und Games: „Beim Spiel ist das wie eine Journey, die sich vor dir entfaltet, über die Zeit hinweg und aufgrund deiner Entscheidungen. Dann entwickelst du dich, willst die neuen Skills anwenden.“

FREUDE AN PROBLEMEN

Zudem gibt Roman Rackwitz zu bedenken: „Angenommen, niemand will scheitern, und angenommen, alle wollen es im Leben schnell und leicht haben, wer ist denn dann so doof und spielt ein Spiel? Ein Spiel ist nichts anderes, als der freiwillige Versuch, unnötige Hindernisse zu überwinden. Wo ist das nächste Problem? Ich will’s lösen. Ich hab‘s gelöst. Weißt du was? Die Belohnung ist, das Nächste wird noch härter. Das ist die Logik des Spiels. … Wer hätte nicht gerne Leute im Unternehmen, die so denken?“

Dementsprechend einleuchtend klingt Rackwitz‘ Urteil über klassische Punkte- und Prämiensysteme: „Das, was wir Loyalitätsprogramme nennen oder Kundenbindung, ähnelt einer Bestechung. …Und dann wundern wir uns, dass wir das Verhalten einer bestochenen Person bekommen, statt Loyalität.“  Es fehlt die Herausforderung, die Leistung, das persönliche Wachstum, das positive Feedback auf eine Anstrengung.

PSYCHOLOGIE ALS SCHLÜSSEL

Will man mit Gamification erfolgreich sein, so bedarf es also immer auch einer aufmerksamen psychologischen Betrachtung der Zielpersonen und der Situation, in der man sie erreichen will. Rackwitz erklärt beispielsweise: „Es gibt die White-Hat- und die Black-Hat-Psychologie. Bei Letzterer wende ich Mechaniken an, die einen äußeren Druck aufbauen, dich über Furcht antreiben. ‚Spende jetzt das Geld, sonst stirbt das Kind.‘ Das wird aber schnell zu viel. Wenn ich sage ‚Wenn du jetzt handelst, dann haben wir später die Chance, dass das Kind gerettet wird‘, dann ist das ein Möglichkeitengedanke. Und man weiß aus der Psychologie, dass dieser Antrieb viel nachhaltiger ist.“

Roman Rackwitz

Roman Rackwitz, Foto: Julian Jankowski

GEHEIMTIPP FÜR DIE DEUTSCHE BAHN?

„Die Produktivität der Zukunft schaffen Unternehmen über Psychologie, nicht über Ingenieurskunst,“ so also die These von Roman Rackwitz. Doch wie untermauert er sie? So zum Beispiel: „Wenn du dafür sorgst, dass Menschen die Zugfahrt mehr genießen, dann kommt sie ihnen schneller vor. Das ist irrational, aber so funktioniert der Mensch. Was für viel, viel größere Zufriedenheit gesorgt hat als eine höhere Geschwindigkeit, ist das WLAN im Zug. Das kostet viel weniger, und es spricht viel eher das menschliche Bedürfnis an. Wenn du es richtig machst, sagen die Fahrgäste ‚Fahr doch mal langsamer. Shit, ich bin schon da!‘.“