Privat, beruflich, gesellschaftlich, politisch – die Ebenen lassen sich nicht mehr so einfach voneinander trennen. Auch das ist eine, vielleicht sogar die weitreichendste Erkenntnis aus der Corona-Krise.
Das Bewältigen von Unsicherheit und Komplexität und ein agiles Vorgehen sind nicht mehr nur im Unternehmenskontext relevant, sondern auch im Privaten, im Politischen und nicht zuletzt im Gesellschaftlichen. Wir sprachen immer von der VUKA-Welt, jetzt ist sie endgültig da. Und tatsächlich könnte man sogar das Vorgehen der Politik in der ersten Welle und damit im ersten Lockdown beinahe als agil bezeichnen (Corona – Ein perfider Plan der Agile Community?!). Aber haben wir wirklich etwas daraus gelernt?
Wo stehen wir?
Das Denken in Möglichkeiten, in Optionen, in Experimenten, das ist es, was uns jetzt fatalerweise verloren gegangen zu sein scheint. Während im ersten Lockdown das Provisorische, die Workarounds, die pragmatischen Adhoc-Lösungen überwogen, hat uns der trügerische Sommer dazu verführt, uns auf den unbestreitbaren Erfolgen auszuruhen. Ja, Deutschland ist sicher vergleichsweise gut durch die erste Welle gekommen. Mit der Folge, dass wir nur allzu gewillt waren, uns träge und vielleicht sogar ein bisschen überheblich auf unseren vermeintlichen Erfolgen auszuruhen.
So wie wir Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle (Stichwort Plattformökonomie) ebenfalls schon verschlafen haben, was sich nun doppelt rächt. In der Rangliste der wertvollsten Unternehmen der Welt dominieren 2020 erneut die Plattformunternehmen und kommen erfolgreich durch die Krise. Deutsche Firmen spielen hier kaum eine Rolle. Gerade mal auf Rang 71 taucht SAP auf. Ein Tech-Konzern mit – wen wundert‘s – einem Plattformgeschäftsmodell. Im Grunde also ein Desaster für ein Land mit dem Anspruch, eine der führenden Wirtschaftsnationen zu sein. Netzabdeckung, Bildungspolitik, Risikokapitalgeber, Innovationsfähigkeit und soziale Frage sind nur die ersten und offensichtlichen Schlaglichter auf diese Misere.
Auch beim Atomausstieg, der Energiewende wird der mühsam erarbeitete Vorsprung gerade schon wieder verspielt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz bremst Investitionen sogar aus, anstatt die Grundlagen zu schaffen für einen ressourcenarm erzeugten Strom. Und den brauchen wir dringend für E-Mobilität, die Digitalisierung und alle weiteren Anwendungen, die noch so kommen werden.
Was fehlt uns noch?
All die Konzepte, die für solche Situationen erdacht, entwickelt und tatsächlich ja auch schon erprobt sind, gehen von denselben Prinzipien aus: Sie akzeptieren die Unsicherheit und Ungewissheit, in der wir stecken. Und sie begegnen dem mit dem methodischen und systematischen Ansatz eines Sich-schrittweise-Annäherns. Annahmebasierte Planungen und das fast blinde Vertrauen auf A-priori-Wissen haben dabei ausgedient. Nur so lassen sich Risiken Stück für Stück reduzieren.
Diese (Design-)Prinzipien finden sich übrigens auch in Kunst und Kultur wieder: die Vieldeutigkeit, die Ambiguität, die Kunst erst zu Kunst macht. Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf Fragestellungen, ohne die es in einer komplexen Welt nicht geht und durch die die verschiedenen Disziplinen einfach zusammenwachsen können. Auch damit gehen wir zur Zeit sehr fahrlässig um. Denn wer diese Konzepte bereits anwenden kann, ist jetzt besonders gefordert!
Sehen wir uns doch genauer an, was wir vor allem im Kontext von Unternehmen diskutieren und schon erfolgreich nutzen. Dann wird schnell klar, dass diese Herangehensweisen auch für die aktuellen großen Aufgaben im Gesellschaftlichen und Politischen hervorragend geeignet sind. Und für die privaten auch:
- Im Lean Startup von Eric Ries sehen wir Hypothesen und Experimente. Und wir haben das Konzept des Minimum Viable Products (MVP), um zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in die Interaktion mit den Nutzern, Kunden, Bürgern etc. zu gehen.
- Im Design Thinking ist es die Idee des Problemraums, also des Sich-Hineindenkens, der unterschiedlichen Perspektiven, der Empathie und dem Eingeständnis, dass viele Probleme nicht so offensichtlich sind wie es zunächst scheint. Was in Folge auch die Lösungen betrifft.
- Im Service Design legen wir zudem den Fokus auf das schnelle Ausprobieren, das Prototyping. Vergleichbar mit der Denkweise des Lean Startup, etwas enger gefasst auf Produkt- und Serviceangebote, die dann natürlich wieder Kern eines neuen Startup-Geschäftsmodells – aber auch einer gesellschaftlichen Lösung – sein können.
- Die agile Methodik stellt „Inspect & Adapt“ und die „Definition of Done“ in den Mittelpunkt: Wann ist die eingeschlagene Richtung zu ändern aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse und wann sind Ergebnisse erreicht und führen zu tatsächlichem Nutzen? Wie lässt sich dabei möglichst früh Wert generieren?
Diese Methoden und Vorgehensweisen leben alle von denselben Prinzipien und derselben Haltung, sind aber je nach Reifegrad des Prozesses und der Aufgabenstellung unterschiedlich einzusetzen.
Wo müssen wir jetzt ran?
Wo wir auch hinblicken, sehen wir aktuell Herausforderungen. Und keine ist trivial und für keine liegt die Lösung auf der Hand. Meist subsumieren wir sie alle – neben Corona, aber oft auch deckungsgleich – unter dem großen Schlagwort „Digitalisierung“. Doch die Digitalisierung ist weder Problem noch Lösung – sie ist die entscheidende Möglichkeit, die wir jetzt haben. Die Möglichkeit, die es uns erlaubt, andere Weg zu denken, oder besser: die es uns jetzt abverlangt! Weil entweder andere diese Wege schon erfolgreich angedacht haben oder weil wir in der Verantwortung stehen, Probleme für unsere Gesellschaft und für nachfolgende Generationen zu lösen. Verantwortung, die deshalb umso schwerer wiegt, weil wir es jetzt könnten … aber nicht tun.
Die Komplexität in all dem verursacht Unsicherheit und vor allem Uneindeutigkeit. Die ausbleibenden schnellen Erfolge, aber vor allem das halbherzige Umsetzen, unreflektierte Festhalten oder gar das völlige Ausbleiben von Maßnahmen verstärken dieses Gefühl. Die Sehnsucht von uns Menschen nach Orientierung und Sicherheit führt zu scheinbar einfachen Erklärungsversuchen, die dann entweder in Verschwörungstheorien oder aber auf der anderen Seite in dogmatischem Gutmenschentum enden. Da führt das eine genauso in die Sackgasse wie das andere.
Denn wenn andere Sichtweisen sofort unter Generalverdacht stehen, kann Diskurs nicht mehr stattfinden. Doch was ist eigentlich so schwer daran, dieselbe Herausforderung anzuerkennen und sie gleichzeitig unterschiedlich zu sehen und einzuschätzen? Birgt das doch ungeahnte Chancen und vor allem vielfältige Lösungsansätze. Von denen wir nicht wissen, ja nicht wissen können und erstmal auch nicht wissen müssen, ob sie richtig oder falsch sind. Wir werden nach und nach herausfinden, was wie wirkt und welche Konsequenzen wir daraus ableiten können.
Um welche Themen geht es?
Letztendlich spannt „Nachhaltigkeit“ mit den Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales den Rahmen passend auf und die bereits etablierten 17 Sustainable Development Goals (SDG) können uns dabei die Richtung vorgeben.
Corona hat uns gezeigt, wie die Grenzen schwinden zwischen Unternehmerischem und Politischem, zwischen Privatem und Beruflichem, und wie das eine ohne das andere nicht mehr zu denken ist. Weil die Abhängigkeiten zu eng sind und die Komplexität zu hoch. Kitas, Homeschooling und Homeoffice. Pflege, Isolation und Wert sozialer Arbeit. Lieferketten, Unternehmertum und Subventionen. Die Reihe lässt sich beliebig verlängern.
In welcher Weise wollen wir – ja müssen wir sogar arbeiten? Reicht New Work oder sind diese Gedanken zu selbstbezogen? Wäre es nicht längst mal wieder Zeit für gesellschaftliche Utopien oder zumindest für Entwürfe? Für ein Denken in (neuen) Möglichkeiten?
Wir haben doch die Mittel in der Hand. Und zwar bitte ohne dass wir diese enorme gesellschaftliche Aufgabe im Ehrenamt verkümmern lassen. Kommen wir also endlich ins Denken – denn was wir denken können, können wir auch tun!
Was bedeutet das für SDNue?
Service Design Nürnberg will daher raus aus der Enge der „kundenzentrierten Innovation für Unternehmen“, will weiter und größer denken. SDNue will den Diskurs fördern, unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliche Disziplinen zusammenbringen. Um wieder über Möglichkeiten zu sprechen, über Experimente, über neue Konstellationen. – Designing and Shaping the Future.
Trotzdem soll das Konkrete, das Machbare nicht außen vor bleiben. Weiterhin ist das „Doing“ wichtig, im Persönlichen, im Unternehmen, im Gesellschaftlichen. Es geht um die richtige Mischung, aber eben auch um einen Blick auf ein viel größeres Ganzes.
Dazu werden wir häufigere Veranstaltungen planen, mit größerer Reichweite – sowohl geographisch als vor allem auch inhaltlich. Wir denken an Themen wie virtuelles Arbeiten, an Energiewende, an Mobilität, an Stadtentwicklung, an digitale Verwaltung, an Genossenschaften und an vieles mehr.
Und wir planen Vorträge, Diskussionsrunden, Streitgespräche, Workshops und Initiativen … in Online-Formaten, in hybriden Varianten und selbstverständlich irgendwann auch wieder in Präsenz vor Ort, in Nürnberg oder auch mit und bei Partnern.