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Es ist ein schönes und vor allem eingängiges Bild: da gibt es die „Digital Natives“, das sind die, die in die digitale Welt quasi hineingeboren sind. Und es gibt die „Digital Immigrants“, die dieses von Angela Merkel benannte „Neuland“ erst betreten, kennenlernen und sich in ihm zurechtfinden müssen. So sind die „Digital Natives“ wie Muttersprachler, denen allein durch die Tatsache, dass sie in einem Land geboren und aufgewachsen sind, die Sprache in einer Weise zur Verfügung steht, die andere nur nach langer Zeit und unter großen Mühen erreichen können – Wortschatz, Aussprache, Zwischentöne, Selbstverständlichkeiten.
Das Bild ist schief
Doch beim Vergleich mit der Sprache fällt uns schon auf, dass das Bild der „Natives“ und „Immigrants“ möglicherweise gar nicht so stimmig ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn natürlich sind nicht alle Muttersprachler ihrer Sprache in derselben Art und Weise mächtig. Die einen können sich gewählt und vielfältig ausdrücken, die anderen verfügen nur über einen geringen Wortschatz und manche sind Analphabeten und können weder lesen noch schreiben – obwohl sie doch „Natives“ sind.
Ebenso wird man auch nicht allein durch sein Geburtsjahr zur digitalen Alleskönnerin, die mehr Verständnis von der digitalen Welt hat als es zur Nutzung von Social Media und Streaming-Angeboten braucht. Vielleicht lassen sich diese Aspekte der Digitalisierung und der Entstehung eines völlig neuen Mediums am ehesten mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichen. Auch der Buchdruck war der Ausgangspunkt für das Entstehen einer „Infrastruktur“, nämlich von Zeitungen, Büchern, Plakaten und vielen anderen Veröffentlichungen, für die nun plötzlich ein neues Wissen, eine neue Fertigkeit erforderlich wurden. Lesen können wurde alltagsrelevant und fand nicht mehr nur an Universitäten und hinter Klostermauern statt. Um auf eine solche Entwicklung zu reagieren und sie sogar zu befördern, braucht es also Bildung für die neuen Medien, für die neue „Infrastruktur“. Mit allem, was dazu gehört – sowohl die reine technische Fertigkeit wie auch der reflektierte Umgang mit dem Medium als auch ein gewisses Maß an Regulatorik, wie wir es beispielsweise mit dem Presserecht kennen.
DIGITALE BILDUNG IST POLITISCH
Bildung und Bildungsangebote sind aber immer ein Ausdruck des politischen Willens, häufig gepaart mit volkswirtschaftlicher Notwendigkeit. Wir werden das Problem der Digitalisierung also nicht lösen durch bloßes Warten auf das Überhandnehmen der „Digital Natives“. Das wäre, als wenn wir erwarten würden, dass alle Welt lesen kann, nur weil es zum Zeitpunkt der Geburt schon Bücher gab.
In welcher Form ist digitale Teilhabe also überhaupt gewünscht? Welche partizipativen Modelle könnten gerade durch die Digitalisierung eine völlig neue Bedeutung erfahren? Denken wir an die Verbindung von Plattformen mit dem Genossenschaftsgedanken, denken wir an DAOs, dezentralisierte Organisationen mit einer ganz anderen Form der Mitarbeiterbeteiligung, denken wir generell an dezentrale Marktmechanismen durch Blockchains o. ä., die Oligopole in Frage stellen könnten. Bis hin zu allen Fragen der Datensouveränität, die durch eine digitale „Self-sovereign Identity“ grundsätzliche „Konstruktionsfehler“ in der Struktur und den Machtverhältnissen des Web2.0 auflösen könnten. Lauter Ansätze, mit denen sich unsere Welt durch Digitalisierung jenseits von Facebook und Google gestalten ließe. Doch wer soll diese Konzepte denken und umsetzen, wenn in unseren Schulen bereits die Lehrer:innen im Hintertreffen sind, wie die Studie ICILS 2018 (zugegebenermaßen vor der Pandemie) zeigte: 26,2 % WLAN-Ausstattung im Vergleich zu 100 % in Dänemark, 3,2 % Ausstattung der Lehrer:innen mit digitalen Endgeräten im Vergleich zu 91,1 % in Dänemark. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen … (hier der Link zur ICILS Studie).
„DIGITAL WISDOM“
“From Digital Natives to Digital Wisdom”, so formuliert Marc Prensky daher seine Hoffnung im gleichnamigen Buch, das bezeichnenderweise mit „Rethinking Education“ beginnt: „(…) the question we should ponder for that future is no longer whether to use the technologies of our time but rather how to use them to become better, wiser people.“ Dabei ist das Interessante, dass der Generation der “Digital Natives” hinsichtlich des Lernens noch ganz andere Eigenschaften zugeschrieben werden, die vordergründig gar nicht direkt mit dem Digitalen zu tun haben. Nämlich zum Beispiel experimentelles Lernen, Multi-Tasking und hohe Interaktion untereinander. Ein guter Ausgangspunkt, um diese Veränderungen zu gestalten und nicht in „Natives“ und „Immigrants“ festzuschreiben.
„Digital Wisdom und die Frage, wie wir digitale Teilhabe befähigen“ war übrigens auch der Titel des ersten Social Design Forums Nürnberg, das sich mit Design als Mittel der Gestaltung gesellschaftlicher Entwicklung befasst. Zum Nachbericht und dem Ausblick auf die kommenden Veranstaltungen findet ihr hier mehr.