Social Design zielt meist nicht nur auf die Gestaltung von Produkten oder Services, sondern entwickelt häufig Lösungen und Innovationen für komplexe Systeme. Darum treten im Social Design die Probleme deutlicher zu Tage, die in jedem anderen Designprozess ebenso eine entscheidende Rolle spielen und zu Risiken des Scheiterns werden.
Zwei davon sind überraschenderweise genau die, die wir oft als Monstranz vor uns hertragen, wenn wir Gründe für die Anwendung von Designprinzipien herausstellen:
- Empathie ist der Schlüssel zu kundenzentrierten Lösungen? – Nein, Empathie ist eines der größten Risiken für ein Scheitern.
- Der Designprozess lässt uns eine passgenaue Lösung finden? – Nein, Innovation liegt nicht in einer Lösung, sondern im Prozess.
Doch wir haben Methoden oder besser gesagt Herangehensweisen, die diese Fehlerquellen zumindest deutlich reduzieren können.
Social Design als Brennglas
Für Cheryl Heller , Business Strategin, Designerin und Gründerin des ersten MFA Programms „Design for Social Innovation“, ist Social Design diejenige Designdisziplin, bei der sich die Herausforderungen vervielfachen: „Social design is the application of the design process to human relationships and invisible dynamics between people and between people and the environment. It’s not terribly unlike the process that’s used to create products and services, the physical things that people know, but it’s done at scale.” Dies liegt im Grunde auf der Hand, denn die soziale Komplexität und der Umfang der Systeme, die vom Veränderungs- und Innovationsprozess betroffen sind, sind im Social Design fast immer sehr hoch.
Dadurch werden aber auch Fallstricke und Gründe für das Scheitern von Designprozessen im Social Design noch deutlicher und drastischer sichtbar. Wir können diese Erkenntnisse allerdings eins zu eins auf Produkt Design und Service Design Prozess übertragen.
Gegen bloße Empathie (ohne wirkliches Verständnis)
“To walk in your customer’s shoes” gilt als Credo für den Research am Anfang jedes Designprozesses. Und tatsächlich erleben wir immer noch in vielen Projekten, dass es an den notwendigen Aktivitäten fehlt, ein Verständnis für unsere Kunden und Nutzer zu gewinnen. Dies ist dann der Moment, wo Empathie als Schlüssel für Kundenzentrierung und Basis für zielgerichtete Innovationen eingefordert wird. Doch gerade in Social Design Projekten wird das unreflektierte Mitfühlen, das Eintauchen und sich womöglich Mitreißenlassen von den Erlebnissen und Emotionen in den Schuhen des Kunden zur großen Gefahr.
Wir wollen Gutes tun, wollen helfen, wollen womöglich Not lindern und verlieren dabei die unbedingt notwendige professionelle Distanz. Vergleichbar mit einem Coach oder Therapeuten, der sich in die persönlichen Welten und Emotionen seines Klienten verstrickt statt analytisch und reflektierend auf eine Lösung hinzuarbeiten.
Dies lässt sich auf Produkt Design und Service Design Prozesse übertragen. Auch hier finden die Probleme und die Typen von Kunden bei uns die größte Resonanz, die unserer eigenen Situation, unserem Charakter, unserer Biografie am Ehesten entsprechen. Der Einwand, dass viele Innovationen überhaupt erst aus persönlicher Unzufriedenheit und Erfahrung heraus entstanden sind, ist natürlich berechtigt. Doch entscheidend für den Erfolg dieser Innovationen war, dass sich das Gestalten der Lösung von der persönlichen Befindlichkeit gelöst hat.
Triangulation hilft
Wir sind und bleiben Menschen mit Emotionen und Mitgefühl und die meisten von uns verhalten sich auch so – zum Glück. Diese Verzerrung werden wir im Research also nicht verhindern können. Aber wir können und müssen uns ihr immer bewusst sein und sie methodisch systematisch eliminieren, soweit dies möglich ist. Ein sehr einfach anzuwendender Weg dafür ist die Triangulation. Es bedeutet die Kombination unterschiedlicher Methoden, Daten, Investigatoren – immer mit dem Ziel, durch unterschiedliche Blickpunkte die Verzerrungen einer einzelnen Methode oder eines einzelnen Researchers zu minimieren. Meist reichen schon drei Varianten, um die Abweichungen so weit zu reduzieren, dass die Risiken einer Fehlentwicklung auf ein vertretbares Maß sinken. Die emotionale Empathie schwindet zugunsten eines reflektierten Verständnisses.
Stolz auf unsere Lösungen
Die zweite Lehre, insbesondere aus Social Design Projekten: Gerade unsere Ambitionen in solchen Projekten führen dazu, dass wir einmal gefundene Lösungen feiern und überschätzen. Die Komplexität unserer heutigen Welt macht es sehr unwahrscheinlich, dass es die eine Lösung, das Allheilmittel für dieses Problem gibt. Und dass wir uns zurücklehnen können, wenn wir diese Lösung gefunden zu haben glauben. Die Welt um uns herum ändert sich sehr schnell und die Varianten und Ursachen unserer Herausforderungen sind in der Regel sehr vielfältig. So wie wir in Social Design Projekten persönliche Genugtuung über die Lösung empfinden, so sehen wir die Parallelen zu Produkt und Service Design Projekten: dort ist es oft die Erwartung des Managements, das Thema endlich abschließen zu können, einen Haken dran zu kriegen, sich anderen Problemen zuwenden zu können, das Budget einzuhalten usw. Wir sehen dies an Symptomen wie dem Research, der nur zu Beginn stattfindet – ganz so als wäre die Erwartungen unserer Kunden ein für allemal festgeschrieben, als wäre die technologische Entwicklung zum Stillstand gekommen, der Wettbewerb eingeschlafen. Und unsere einmal gefundene Lösung der Endzustand, für den es keine Verbesserungen mehr zu gestalten gäbe.
Experimente sind der Schlüssel
Teresa Torres spricht von „Continuous Discovery” als notwendige Antwort und fordert damit einen Paradigmenwechsel. Es geht nicht mehr darum, einmalig ein Verständnis zu entwickeln, sondern kontinuierlich an den Anforderungen und Erwartungen unserer Kunden dranzubleiben. Systematisiert und durch Prozesse gestützt. Die Analogie zum „Continuous Deployment“ ist nicht zufällig gewählt. Auch dies schien vor Jahren noch undenkbar, Software Releases in festgelegten Zyklen waren das Maß aller Dinge. Doch wenn wir heute kontinuierlich Neuerungen ausliefern können, auf welcher Basis tun wir das dann? So landen wir zwangläufig bei der Notwendigkeit, uns kontinuierlich eben auch neue Erkenntnisse zu erarbeiten. Hier wird Prototyping zum entscheidenden Werkzeug und dieses Prototyping sollte den Charakter von Experimenten annehmen. Ein fast naturwissenschaftliches Herangehen an mögliche Lösungsvarianten, deren Messen, Überprüfen, Bewerten und – ja nach Ergebnis – Weiterverfolgen oder Verwerfen.
So schließt sich der Kreis zur Empathie. Denn mit diesem Vorgehen sorgen wir erneut dafür, dass unsere persönliche Befindlichkeit, unser Stolz auf die eigene Lösung, unsere Verliebtheit in die eigene Idee oder auch ganz banal der Ergebnisdruck, unter dem wir stehen, als Verzerrung möglichst weitgehend ausgefiltert werden. Zugunsten einer realistischeren Antwort auf die Welt um uns herum, die eben nicht stehenbleibt und die sich nicht unseren Wünschen und Lösungsideen anpassen wird. Bloße Annahmen und bloße Empathie bringen uns Risiken in unsere Projekte, die wir mit der passenden Herangehensweise vermeiden können.